Sonntag, 29. April 2007

Kapitel13



Der erste, der der verzehrenden Liebesleidenschaft erlag, war kein anderer als der große keltische Zauberer MERLIN, der mächtigste Magier der Länder und Inseln im und rings um das Nordmeer... Lange schon hatte er gelebt, da traf er im Wald Broseliande die schöne junge Niniane - und war ihr von dem Moment an verfallen, als er die Fee erblickte.
Er lehrte sie alle Zauberkünste, die sie von ihm begehrte zu lernen; aber als letztes wünschte sie von ihm das Wort zu erfahren, dass MERLIN unauflöslich für alle Zeiten an sie binden sollte. Und obwohl der Zauberer wusste, was geschehen würde, sagte er ihr dennoch das Zauberwort - so mächtig ist die Kraft der Liebe... Sie lagen unter einer blühenden Weißdornhecke , er trank von ihren Lippen Duft und Saft des lebendigen Waldes - denn sie war eine Waldfee - , und in den Kuß hinein sprach sie das Zauberwort. Da schloss sich die Hecke um ihn wie ein Sarg, Blüten fielen auf ihn nieder und der atmende Waldboden sog ihn ein... Die Sonne wärmte ihn des Tags durch die dünne Decke, das Regenwasser sickerte um ihn herum und die Wurzeln der Bäume und Büsche, auch die der Blumen, wuchsen durch ihn heraus in die grüne Welt des Waldes. Merlins Blut gab dem Zauberwald Leben und sein Atem rauschte in den Wipfeln ein ewiges Lied. MERLIN selbst aber liegt bis heute dort, lebendig-tot und schläft den Rausch der ewigen Liebe. Selbst Niniane kann ihn nicht mehr daraus erwecken...
Das Lied aber tönt fort durch die Zeit: Übergroße Sehnsucht ist darin und ewige Leidenschaft: Es ist das Lied der tragischen Liebe von TRISTAN und ISOLDE

Kapitel 12




Ah, redet nicht so laut durcheinander, sonst verstehe ich ja gar nichts ... So, vom GRAL wollt ihr hören ? Oder erst die alte Sage vom Liebestrank, die auch hier im Norden ihren Anfang nahm ? Wir hätten auch noch sehr viel zu erzählen über die alten Götter, die hier verehrt wurden, bevor die christlichen Missionare die hier lebenden Menschen zu dem dreieinigen Gott bekehrten. Aber im Grunde ist dies die Zeit, in der alle diese alten Legenden ihren Ursprung haben.
So ist das Steinbild vom alten Mönch in der Grundmauer der Kirche zu Bergen gleichsam ein Symbol für die Erfahrungen, die uns die Vergangenheit vermittelt:
die einen sehen in ihm die Abbildung eines der ersten christlichen Mönche auf der Insel Rügen, die anderen das Denkmal der alten slawisch-heidnischen Gottheit Svantevit, die in die Christenkirche eingebaut den neuen Glauben festigen helfen soll.
Wir wissen nur: der Stein ist schon sehr alt und die Menschen haben immer an seine helfende Wunderkraft geglaubt ... wie an die des GRALs . Also macht es Euch bequem und entflieht für ein Weilchen dem Trubel und der Hektik unserer schnell-lebigen Zeit; öffnet Eure Herzen und lauscht dem nächsten Abenteuer, das unser Nordmeer-Recke, der sich Wate nannte, mir erzählt hat: Es ist die Geschichte von einer unglaublich großen, unsterblichen Liebe, die damals wie heute nicht ihresgleichen fand ...
Überall auf der Welt gibt es sie, sie hat sehr, sehr viele Menschen glücklich, wieder andere auch sehr unglücklich gemacht... Die Dichter haben sie besungen und tun es bis auf den heutigen Tag. Sie ist das stärkste, wichtigste und schönste Gefühl, das wir kennen, und doch ein unbegreifliches Mysterium: die LIEBE . - - - Manche glauben sie erfahren zu haben und leben ihr ganzes Leben lang glücklich, weil sie der wahren Liebe nie begegnet sind. - Andere sind ihr begegnet und konnten sie nicht festhalten... Wieder andere kamen zu spät: Da war schon ein anderer schneller und dennoch brannte die Liebesleidenschaft wie ein verzehrendes Feuer und brachte allen Beteiligten großen Kummer und bitteres Leid ...
Wir kennen sie aus Märchen, Mythen und Sagen, die traurigen Frauengestalten, die tragischen Liebespaare...

Dienstag, 3. April 2007

Kapitel 11




Am nächsten Morgen wurde Kudrun von den Mägden Gerlints als Braut geschmückt und angekleidet, als plötzlich von den Zinnen das Signal "Zu den Waffen! " erscholl. Die vereinten Heere der Hegelinger, Seeländer und Mohrländer sowie die Streitmacht Wates, des Recken, hatten unter dem Dunkel der Nacht einen engen Belagerungsring um die Burg geschlossen. Während Scheinscharmützel der großen Heere die Verteidiger ablenkten, suchte eine kleine Schar der mutigsten Recken die versteckten Zugänge der Burg, um unbemerkt in das Innere zu gelangen. --- --- --- Ich und ihr, meine lieben Zuhörer, wir wissen, wie die antiken griechischen Helden die uneinnehmbare Stadt Troja eroberten ... aber diese List war unseren Helden fremd --- --- --- So mussten Herwig, Wate, Siegfried und ihre Getreuen lange suchen, bis sie den von den Jungfrauen beschriebenen heimlichen Gang in einen der Burgkeller fanden. Aber sie fanden ihn schließlich. Und sie konnten die feste Pforte sprengen, die ihn zum Inneren der Burg hin verschloß. Der Kampfeslärm um die äußeren Mauern übertönte die Eindringlinge. Und so waren die Verteidiger überrascht, als plötzlich im Innern des unteren Burghofes eine Gruppe von fremden Kriegern auftauchte, die sich mit wütenden Hieben eine Schneise zum äußeren Burgtor bahnten und dieses schließlich öffnen konnten... Da half den Verteidigern auch nicht mehr, dass sie sich in den oberen, inneren Burghof zurückzogen und ihn mit dem inneren Tor verschlossen. Die wilde Flut der vereinigten Fürstenheere ergoss sich in das Innere der Burg und nach wenigen Augenblicken war auch das innere Tor gesprengt. Da war froh, wer nicht zu den Normannen gehörte ... Die Hegelinger Helden gaben keinen Pardon... So viele gefallene Helden hat kaum je ein Volk in der alten Zeit beklagt. Der Recke Wate raste wie ein Berserker durch die Hallen und suchte den alten normannischen König, den jungen König Hartmut und vor allem die böse Königin Gerlint, um sie für ihr frevelhaftes Tun an der Prinzessin Kudrun und ihren Jungfrauen zu bestrafen. Auch die schwach gewordenen Mädchen aus Kudruns Gefolge hätten - wäre es nach Wate gegangen - einen schmachvollen Tod gefunden. Aber sie flüchteten sich unter Kudruns Schutz...
Wate aber ruhte nicht eher, bis er die Fürstin Gerlint gefunden hatte. Wie sie ausgesehen haben könnte, hat die Malerin Heidrun Hegewald nachempfunden... Und auch Gerlint warf sich Kudrun zu Füßen... Wate aber kannte kein Erbarmen. Er zog sie aus der Schar der verängstigten Damen und setze ihrem bösen Leben ein schnelles Ende. --- --- --- Nicht viel später werden die Dichter von einer anderen Fürstin singen, der es ähnlich erging. Diese aber war eigentlich nicht böse - sie wurde durch die Umstände des Schicksals zu einer Rächerin ihres ermordeten königlichen Gemahls Siegfried ... Ich spreche von Kriemhild und dem Nibelungenlied... Wenn die Zeit es erlaubt und Ihr es hören wollt, werden wir später noch darauf zu sprechen kommen --- --- --- Aber zurück zu Kudrun: Als sie sah, wie es ihrer Peinigerin ergangen war, gebot sie, wie es nur Frauen können, mit heller, aber durchdringender Stimme, dem Kampfeswüten ein Ende. Zu viele waren schon einen unsinnigen Tod gestorben....


Wate war kaum zu bändigen. Aber Herwig gehorchte dem Gebot seiner Braut, so dass auch die anderen Fürsten ihren Kriegern befahlen, die Waffen zu senken. Das Ergebnis der Kämpfe war furchtbar. Die überrumpelten Normannen lagen scharenweise in ihrem Blut. Nie zuvor waren in einem Land in so grausam kurzer Zeit so viele Frauen zu Witwen, so viele Kinder zu Waisen geworden. . .
Kriege sind immer furchtbar, sie waren auch in alter Zeit schon die schlimmste Geisel der Menschen und sind doch immer von den Menschen selbst, von habgierigen Königen, von herrsch- und rachsüchtigen Machthabern, von Ränkeschmieden und Bösewichtern, angezettelt und vom Zaume gebrochen worden.
Aber Kudrun versuchte, die verfeindeten Parteien zu versöhnen:
Sie bot ihrem Entführer, dem jungen Normannenkönig Hartmut, der den Kriegszug mit dem Tode seiner Eltern büßen musste, die Hand ihrer liebsten Freundin und Dienerin Hiltburg an, die dieser, nachdem Hiltburg selbst einverstanden war, auch gerne annahm. Wate stand zunächst mißmutig beiseite; hatte doch Hiltburg ihn selbst erst aus dem Wurzelstock erlöst. Aber seine Aufgabe war es nicht, sich mit einer schönen jungen Frau zu vergnügen un eine Familie zu gründen, sondern - wie von Urd, der Schicksalsfäden spinnenden Norne geweissagt - durch die Zeiten zu wandern und das Unrecht zu verfolgen...
Aber noch war die Versöhnungstat Kudruns nicht vollendet: Ortwin, der Bruder Kudruns, warb um die Hand von Ortrun, einer schönen und stolzen Fürsten-tochter aus Kudruns Gefolge; Siegfried von Mohrland schickte seine Brautwerber zu Herwigs Schwester, die mit Freuden ihre Einwilligung zur Hochzeit mit dem schönen und stolzen Recken gab...
So wurde - da Kudrun natürlich auch so schnell wie möglich ihr Eheversprechen einlösen wollte - vierfach Hochzeit gefeiert in den Nordlanden. Und wieder dröhnte die Erde unter dem Donner der Hufe gepanzerter Pferde. Wieder wirbelte Staub hochauf und dazwischen blitzten Rüstungen und Schwerter im blanken Sonnenlicht. Diesmal aber fochten die einstigen Feinde im friedlichen Wettstreit um die Gunst der schönen Frauen ...
Wate aber ließ es sich nicht nehmen, das Raubnest der Normannen zu zerstören... Heute sieht man noch die letzten Ruinen im Waldesdunkel; oben aber auf dem Berg steht ein Wurzelstock ... das Wahrzeichen unseres Recken...
So gibt es viele Wahrzeichen in unserem schönen Land, die uns die Vergangenheit lebendig werden lassen und uns daran erinnern, woher wir gekommen sind ... Hier mache ich eine kleine Pause um Euch zu fragen, ob Ihr der Erzählung noch nicht müde geworden seid und wenn nicht, wovon ich Euch weiter erzählen soll ?

Kapitel 10


Zunächst wollt ihr sicher wissen, was aus Kudrun wurde...
Nun, die alten Bücher berichten übereinstimmend, dass die Normannen mit ihrer geraubten Königstochter und deren Gefolge über das weite Nordmeeer zurück in ihr dunkles Reich fuhren.

Hartmut, der junge Normannenkönig, bedrängte die schöne Kudrun jeden Tag, sie möge seine Frau werden und über sein dunkles, kriegerisches Reich herrschen, aber Kudrun widerstand ihm beharrlich. Nichts konnte sie umstimmen. Nicht der Hinweis, dass ihr Bräutigam, der mit seiner schweren Rüstung im Meer versank, sicherlich nicht mehr am Leben war -- -- (wir aber wissen es besser) -- -- auch nicht die Drohung, sie werde schlechter als die geringste der Mägde am normannischen Hofe gehalten, schon gar nicht die Ankündigung, sie müsse in den Kerker und werde am Ende ihr Leben verlieren. So geschah es, dass die Mutter des jungen Normannenkönigs Hartmut -- ihr Name ist Gerlint -- anordnete, dass Kudrun künftig an den rauhen Gestaden des Nordmeeres die gesamte Wäsche des normannischen Hofes zu waschen habe - und all ihr Gesinde mit ihr. Ausgenommen sollten nur die sein, die sich normannischen Kriegern anverlobten -- als Beispiel für die starrsinnige Prinzessin. Da gab es manche, die durch die harte Arbeit und die Entbehrungen dazu getrieben wurde, ihrer jungen Königin den Dienst zu verweigern und sich stattdessen in die Arme junger normannischer Höflinge zu begeben ... Sie wurden wie Konkubinen gehalten; aber bedenkt, bevor ihr sie verurteilt, wieviel Entbehrungen und Leid sie erdulden mussten: Das Wasser des Nordmeeres ist kalt und nicht jede Frau kann viele Stunden täglich mit geschürzten Kleidern im Wasser stehen und fremder Herren Wäsche spülen....
Kudrun aber und einige wenige ihrer Getreuen hielten standhaft durch - bis eines Tages am Horizont fremde Segel auftauchten und Kurs auf die Bucht nahmen. Sie ankerten in sicherer Entfernung vor den Waffen der Burg, geschützt durch eine bewachsene Landzunge; nur ein Boot mit wenigen Männern ruderte heran. Als sie aus dem Boot sprangen und an Land wateten erkannte Kudrun, wer es war: Herwig, ihr Bräutigam, Horant, der Spielmann -- -- ohne den uns diese alte Geschichte wohl nicht bekannt geworden wäre -- -- und Wate, der Kriegerfürst. Aber die Krieger erkannten Kudrun nicht... Als sie sich zu erkennen gab, konnten es die Männer nicht glauben... Elender sah sie aus als ihre treue Dienerin Hiltburg am Fuße des Holzrecken je ausgesehen hatte; eingefallene Wangen, schmutzige und wirre Haare, knochige Arme und Beine, übersät mit Schrammen und Wunden ... Dies war das Werk der bösen Königin Gerlint, die die Gefangene jeden Abend mit eigener Hand züchtigte, um ihren Stolz zu brechen.
Die Helden hätten nun mit Leichtigkeit die Mädchen entführen können. Aber sie wollten die Normannen für ihre Grausamkeit strafen. Also ließen sie sich von den Jungfrauen alle Gegebenheiten und Örtlichkeiten der normannischen Burg genau erklären. Dann ruderten sie zu ihren Schiffen zurück, um im Dunkel der Nacht den Angriff vorzubereiten. Kudrun war erleichtert, dass ihr Bräutigam noch lebte, und übermütig befahl sie ihren Getreuen, die Wäsche der Normannen in das Meer zu werfen. An diesem Abend kehrten sie stolz und ohne Demut zurück. Sie hatten sich eine List ausgedacht. Kudrun erklärte der überraschten Gerlint, sie wolle nun doch Hartmut zum Manne nehmen. So bereitete sich der normannische Hof auf eine Hochzeit vor, während draußen auf dem Meer die Schwerter geschliffen wurden...

Kapitel 9


Es gibt noch mehr, was an die alten Geschehnisse erinnert. An den Molen und Stränden ringsumher stehen alte Hölzer, die aus Bäumen stammen, Jahrtausende alt, und die als Strandgut, als Wurzeln, als im Sande und im Uferholz gelegene Stämme irgendwann einmal zutage getreten sind...
Maler, Holzschnitzer, Bildhauer und Dichter legen die Hand auf diese Rudimente des alten Nordwaldes.
Sie spüren, wie die Ereignisse der alten Zeiten gespeichert sind in diesen Hölzern. Sie erfahren, wie die Seele der alten Bäume in den Hölzern weiterlebt. Sie nehmen sie auf und befreien sie aus ihrer starren Hülle, wie einst das Mädchen Hiltburg den Recken Wate erlöste. Die Bildhauer formen Gestalten, die uns erzählen von den Helden der alten Zeit.
Die Dichter erzählen selbst, inspiriert durch die alten Zeugnisse und durch die aus den Hölzern hervorgetretenen Denkmale, diese alten Geschichten neu. Sie sollen uns dazu bewegen, nachzudenken über das Geschehene und unser Leben so zu gestalten, dass Unrecht und Bosheit keinen Raum finden, dass aber das, was das Leben lebenswert macht, immer wieder neu geboren wird: Die Liebe ...
Und so will auch ich, unter den Erzählern der Geringsten einer, meine bescheidene Gabe dazu nutzen, das Nordmärchen fortzuführen. Viel wird noch zu erzählen sein ...

Samstag, 10. März 2007

Kapitel 8


Nun ist es Zeit, aus dem Buch aufzublicken und euch eine Abbildung des Kampfplatzes zu zeigen, wie er sich heute darstellt: Die Hänge sind bewaldet und der Strand ist befriedet - von mächtigen Steinen, die vom Schwert des Recken Wate zurechtgehauen sein könnten - die aber heute die Aufgabe haben, den Strand zu schützen.
Denn seit Jahrtausenden nagt das Meer an dieser Stelle der Insel Hiddensee (wie sie heute heißt). Es nagt vielleicht, um den Fluch abzuwaschen, der auf der alten Kampfstätte liegt, den man in den alten Büchern nachlesen kann und der auch heute noch wirkt ...
Denn um Mitternacht bricht der Sand auf an dieser Stelle ...
die Kämpfer, die vor Jahrtausenden hier ihr Leben ließen, stehen auf aus ihren tiefen Gräbern.


Das Meer brandet wütend gegen die Steine und aus den Wellen marschieren die, die damals im Meer den Tod fanden. Dem mitternächtlichen Wanderer, der sich zufällig hier befindet, wird das Herz zu Stein ...

Denn er vernimmt Waffengeklirr aus der Brandung, die Schreie der Verwundeten, aus dem aufbrausenden Sturm, das Stöhnen der Sterbenden vom Boden, der vom Kampfeslärm vibriert.
Es ist nicht gut für den Wanderer, um Mitternacht an dieser Stelle zu sein, aber am Tage kann man ungefährdet und unbehelligt der alten Sage lauschen ....

Kapitel 7



Nun aber, da ihr alles wisst, was zu wissen nötig ist, wollen wir das Buch selbst sprechen lassen:
... Zum ersten Mal lernte Siegfried, der König aus Mohrland, den Recken Wate aus der Nähe kennen, und er bewunderte die Kraft des alten Recken und seine genaue Kenntnis aller Meeresströme und Winde. Wate wußte mit großer Wahrscheinlichkeit anzugeben, wo sich die feindliche Normannenflotte im Augenblick befin-den mußte.
Er sprach von einer Insel, auf der sonst nur Wölfe hausten. Wülpensand sollte sie heißen. (Das war die Nachricht, die Urd dem Mädchen Hiltburg gegeben hatte, denn Wülpensand lag auf Hiddens Oie.)
"Dann sind sie für uns unerreichbar", sagte Hetel niedergeschlagen. "Wir haben nicht ein Schiff."
"Eine ganze Flotte haben wir!" sagte Wate. Er führte die erstaunten Könige und Fürsten an eine Meeresbucht. Dort lagen siebzig seetüchtige und mit Proviant versehene Schiffe vor Anker. Auf ihren Segeln trugen sie das Kreuzzeichen. Es gab aber ein Gebot des Papstes, des Oberhauptes der Christen, wonach ein jeder, ob König oder Ritter, Irländer, Hegelinger oder Normanne, die Kreuzfahrer unbehelligt ziehen lassen mußte. Wer sie aufhielt oder gar bei einer Rast überfiel, den sollte die Strafe des Himmels treffen. Wate trat denen, die an das Gebot erinnerten, entgegen: "Auch Gott verschmäht nicht die Gewalt, wenn es nötig ist. Deshalb laßt uns nicht zögern. Für diese Tat übernehme ich allein die Verantwortung."
Dann befahl er seinen Kriegern, die Schiffe zu besetzen ...
Zu spät erkannten die Entführer Kudruns,
(und auch ihnen ist es jetzt Zeit einen Namen zu geben: Es war ein Heer der Normannen unter Führung ihres jungen Königs Hartmut)
wer ihnen hier mit einer großen Streitmacht auf den Fersen war. Hetel gewann Zeit, sein Heer geordnet und kampfbereit zu landen. Hartmut, der junge Normannenkönig, hatte viel Mühe, der Überraschung im eigenen Lager Herr zu werden. Er versprach seinen Kriegern Gold und Edelsteine aus dem eigenen Besitz und spornte sie dadurch zu einem Eifer an, der die Überrumplung zum Teil wieder wettmachte.
Ein Kampf entbrannte, der in der damaligen Welt kein Beispiel kannte. Speere fielen dicht wie Schneegestöber in die Reihen der Gegner. Tausend und aber tausend Schilde brachen unter mächtigen Schwerthieben. Die stärksten Lanzen aus Eschenholz splitterten beim Zusammenprall, als wären sie aus brüchigem Eis gefertigt. Das Kampfgetöse erschreckte selbst die Wölfe. Sie sprangen ins Meer und suchten schwimmend eine ruhigere Insel zu erreichen. Gleich einem gut gesteuerten Boot in der Brandung lenkte Herwig sein Pferd durch die hin und her wogenden Reihen. Er suchte seine Braut Kudrun. Fand Hartmut im Kampf mit Horant. Begegnete Siegfried von Mohrland im harten Gefecht mit einem normannischen Fürsten. Traf Hetel, der auf den alten normannischen König Ludwig, Hartmuts Vater, einhieb und ihm tiefe Wunden beibrachte. Glaubte überall Wate zu sehen. Der alte Recke war außer sich vor Zorn, er schlug wahllos um sich und streckte die Gegner in Scharen zu Boden. Herwig ließ sich aber durch niemand aufhalten, er suchte seinem Ziel näher zu kommen. Die Normannen hatten Kudrun vorsorglich auf eins ihrer Schiffe gebracht. Als Herwig sie entdeckte, zogen sie die Planke weg. Der seeländische König stürzte zwischen Schiffswand und Strand ins Wasser. Die schwere Rüstung zog ihn in die Tiefe. Nur mit allerletzter Anstrengung gelang es ihm, sie abzustreifen und schwimmend an Land zu kommen. Hier erwartete ihn ein Hagel von Pfeilen, vor dem er sich unter einen Baum flüchtete. So rettete er zwar sein Leben, aber Kudrun rettete er nicht.
Das Ringen um die Prinzessin währte bis in die Dämmerung. Wate kämpfte, als hätte er statt des Schwertes eine Sense in den Händen und als seien die Krieger Grashalme auf der Wiese. Der Alte mähte sie nieder, seine Kraft reichte bis zum Dunkelwerden, sein Zorn wuchs mit jedem Schlag; schließlich mähte er in den eigenen Reihen. Da erscholl Horants, des Sängers, Stimme. Er gebot allen Hegelinger, Seeländer und Mohrländer Fürsten, Rittern und Kriegern Waffenruhe bis zum Anbruch des neuen Tages. Das wäre eigentlich Hetels Aufgabe gewesen. Aber Hetel war tot.
Kudruns Vater Hetel, niedergestreckt im Wülpensande von Hiddens Oie und Kudrun, die Tochter, noch immer in der Gewalt der Entführer ...
Zwar hatten die vereinigten Heere der Hegelinger, von Mohrland und von Seeland die Normannen in die Flucht geschlagen, aber ihr Ziel, Kudrun zu befreien, hatten sie nicht erreicht. Herwig, der Bräutigam, der nur mit Mühe dem Tod entronnen war, lag schwer verletzt in seinem Zelt. Wate stapfte wütend durch den tiefen Sand und spaltete mit seinen Schwert die herumliegenden Steine. Horant, der Sängerfürst, verabschiedete den Tag mit einem Lied, das von Verfolgung, Vergeltung und Befreiung der jungfräulichen Königin sang.

Mittwoch, 28. Februar 2007

Kapitel 6

Wie es weiterging, ist in vielen verschiedenen Büchern niedergeschrieben. Aber das, dem die meisten Sänger Glauben schenken, ist ein über 1000 Jahre altes Buch. Viele haben daran geschrieben. Und dort hat unser Recke auch einen Namen. Er heißt Wate. Wate stellte sich nun mit seiner Streitmacht und der Führerin, dem Mädchen Hiltburg, in den Dienst eines Königs, den er unweit der Behausung Urds, am Strand des Nordmeeres traf. Denn dieser war ebenfalls auf der Suche nach Kudrun; sie war seine Braut. Sie hatte ihm sich selbst angelobt, gegen den Willen ihres Vaters.
In dem alten Buche kann man es nachlesen:


"Siu sprach: `nu so gefüege din lieber herre si, ich wil gen im nimmer des willen werden fri, ich gelone im der gedanke, die er hat nach minen minnen, Getörst ich vor dem vater min so wolde ich iu gerne volgen hinnen..."

Und für die, die der alten Sprache nicht mehr mächtig sind, übersetze ich gerne:

" Sie sprach: `Wenn dies, lieber Herr, Euer Wunsch ist, so will ich mich diesem Willen nicht widersetzen. Ich will Euch die Sehnsucht nach meiner Liebe wohl belohnen. Wenn es mir nur der Vater erlauben mag, so will ich Euch gern in Euer Reich folgen..."
Aber der Name des königlichen Bräutigams soll nicht verschwiegen werden: Es war Herwig, Herrscher über das kleine, aber reiche Seeland.

Dienstag, 27. Februar 2007

Kapitel 5

Und so geschah es: Sie machten sich auf den Weg von den hellen zu den dunklen Gestaden des Nordstrandes. Sie sahen in jede Hütte, an der sie vorbei kamen und sprachen mit jedem Menschen, den sie trafen. Nach und nach schlossen sich ihnen junge Männer an, Krieger, denen das Elend der jungfräulichen Königin nicht gleichgültig war. So wurden aus Wenigen Viele. Aus Vielen wurde eine Streitmacht. Aus dieser Streitmacht wuchs allmählich ein Heer. Schließlich, nach langen, langen Märschen, gelangten sie an eine einsame Bucht. Keiner wusste, wo sie waren, nur einer konnte sich erinnern.
Hier stand eine armselige Hütte, wie einstmals, vor vielen, vielen Jahren. Und noch immer saß in ihr die weise Frau, von der man sagte, sie sei eine der Schicksalsfäden spinnenden Nornen, vielleicht Urd selbst. Aber nun trat nicht mehr der Recke zu ihr hinein, sondern das Mädchen Hiltburg, die Erlöserin und Dienerin der jungfräulichen Königin. Und Urd wies ihr den Weg: Boote sollten sie bauen und sich auf ihnen über das Nordmeer tragen lassen auf eine kleine Insel, genannt Hiddens Oie.


Dort war sie gefangen, die jungfräuliche Königin, deren Namen es jetzt an der Zeit ist, zu nennen: Sie hieß Kudrun ...

Kapitel 4



Bis schließlich jemand kam, der kaum noch laufen konnte. Es schien ein Mädchen zu sein. Matt war sie und kraftlos. Ihre Kleider waren zerschlissen und zerfetzt. Sie bedeckten kaum den zarten und kraftlosen Körper der Jungfrau. Die Haare wirr und zerzaust, mit blutenden Füßen, schleppte sich das Mädchen hin zum Holzstock. Es warf sich ihm zu Füßen und umklammerte mit beiden Händen die verwitterten Wurzeln des hoch in die Luft aufragenden Holzbildes.
Eine Erschütterung durchlief den schmächtigen Leib des Mädchens und ein Strom von Tränen stürzte aus den Augen, die tief waren wie das Meer und dunkel wie die Nacht. Sie hatten Schreckliches gesehen: Kriegerische Horden waren eingebrochen in ihr Land, hatten viele Männer erschlagen, die Frauen und Kinder in die Sklaverei getrieben. Auf Schiffen verladen, wurden sie an die dunklen Gestade des Nordmeeres gebracht, dorthin, wo noch immer das Böse regierte. Die dunklen Krieger hatten die jungfräuliche Königin gefangen und entführt ...
Eine ihrer Dienerinnen konnte entkommen. Ahnungen hatten sie lange durch den Wald geführt, über wüste Flächen, tiefe Klippen und dichtes Gestrüpp hin zu den hellen Gestaden des Nordmeeres: nun lag sie da und wusste nicht weiter. Mit den Lippen berührte sie das tränennasse Holz, alle Götter um Hilfe anrufend. Aus ihrer Seele strömte eine Reinheit, ein Licht, das das äußere Elend ihrer Gestalt überwand und den hölzernen Recken in ein Zauberfeuer hüllte. Sie wollte sich opfern - aber er würde nicht verbrennen !
War es der Wind, der plötzlich aufsprang, war es das Meer, das aufrauschte am hellen Ufer oder die Erde, die erbebte ? Blitze zuckten am Himmel und in einem Feuerstrahl stand der Mann da; befreit aus dem harten Holz, lebendig und wiedergeboren als ein Ritter der Güte, zu schützen die Hilfsbedürftigen und zu verfolgen das Böse ! Was aber soll ich sagen über das Mädchen ? Erstarrt und voller Staunen, wenn auch nicht ohne Furcht hatte sie die Verwandlung des Holzes miterlebt. Nun aber zeigten sich ihre innere Reinheit und Opferbereitschaft auch an ihrem Leib: So erbarmungswürdig sie gerade noch war - jetzt stand hier das schönste Mädchen, das je die Erde getragen hatte. Kein Zweifel: Dies war das Werk des GRALS (Aber so ist es bis heute: Letztendlich trägt immer die innere Schönheit einer Frau den Sieg über Äußerlichkeiten davon.).
Nun mussten die beiden ihre Aufgabe erfüllen: einer hatte die Kraft und eine wusste den Weg ...

Kapitel 3

Aber durch all diese Küsse und all die Tränen der schönsten und reinsten - wohl auch mutigsten Jungfrauen, die die Erde je gesehen hatte, veränderte sich der alte Wurzelstock: die aber- und abertausende von Küssen gaben ihm ein Profil. Es war das Profil eines Recken, wie sie vor Zeiten viele diese Nordmark bevölkert hatten, als das Land noch wild und ungestüm war. Die vielen Tränen aber, die ihn direkt benetzten (sie wurden nicht zum Gold des Meeres), führten dazu, dass er stetig wuchs. Er wurde groß und größer, bis er schließlich wie ein Monument die Bucht und den Wald überragte.
Ein Denkmal der Treue und Standhaftigkeit, äußerlich immer noch leblos, denn er war ja aus Holz ...

Montag, 26. Februar 2007

Kapitel 2



Dieser GRAL aber, den der Mann hütete, hatte seine eigene Geschichte. Wie er in seinen Besitz gekommen war, wusste keiner genau zu sagen. Der Schatz war wohl schon im Anfang aller Welten da, vom Allschöpfer selbst benutzt, um die ersten Menschen zu formen. Man wusste von ihm im alten Mesopotamien, auch in Ägypten - immer unter anderem Namen - , auch eine Insel, Atlantis genannt, soll Kunde von ihm gehabt haben. Dann kam er wohl, auf welchen Wegen auch immer, in den Norden... Vielleicht war er auch überall zugleich, denn als in Golgatha Gottes Sohn an das Kreuz geschlagen wurde, soll die erste Christengemeinde das Heilige Blut des Herrn darin aufbewahrt haben. Ein alter Dichter namens Robert de Boron erzählt weiter, dass er danach wieder nach Europa gekommen sei, wo ihn der edelste und reinste Ritter aus der Runde des großen Königs Artus behütete ...
Viele Dichter haben Kunde davon gegeben, und bis in unsere Tage weiß man nur, dass er zuletzt in der Obhut von Parzifals Sohn Lohangerin und dem Sohn seines Halbbruders Feirefiz gewesen sei. Letzterer habe ihn wieder mit in den Orient genommen, von wo aber nie wieder eine Kunde gekommen sei. Er muss aber noch in der Welt weilen, denn immer noch sucht das Böse nach ihm und immer wieder geschehen Wunder ...
Und immer noch wartete der alte Wurzelstock in einer versteckten und verträumten Bucht des Nordmeeres auf seine Erlösung. Viele Jungfrauen haben es schon versucht, aber noch keiner ist es bisher gelungen, den Bann zu lösen. Sie kamen aus allen Teilen der Welt; zu Fuß über das Land, mit Wagen und allerlei Gefährt; durch die Luft mit sagenhaften und modernen Teppichen, Ballons und Fliegern; die meisten aber kamen über das Wasser, um den Mann zu erlösen. Man sagt, dass alle die, denen es nicht gelang, die Erlösungstat zu vollbringen, Tränen vergossen - Tränen der Trauer – die, wenn sie in das Meer fielen, zu goldgelben Steinchen wurden. Diese Steinchen lassen sich heute noch finden, wenn der Sturm das Meer erzürnt hat und die Wogen wild auf den Strand peitschen...

Kapitel1

Weit im Norden der Welt, dort, wo das Meer über das Land regiert und der Sturm über die Sonne, lebte vor vielen Zeiten ein Mann. Die alten Legenden erzählen, dass er etwas besaß, das die Fähigkeit haben sollte, die Menschen glücklich zu machen. Keiner wußte genau zu sagen, was das eigentlich war. Die einen sprachen von einer Schale oder einem Stein, den sie GRAL nannten, andere meinten, es sei ein wundervoller Zauberring mit einem Karfunkelstein darin; die dritten gar behaupteten zu wissen, dass es etwas lebendes sei, von Ymir, dem Urriesen, selbst gezeugt, wieder andere sprachen einfach von einem Schatz ...
Was es auch immer war, Zauberer, Gnome und andere böse Mächte trachteten danach, diesen "Schatz" an sich zu bringen, denn solange er im Besitz des Mannes war, konnte das Böse nicht die Oberhand über die Welt gewinnen.
Heftige kriegerische Angriffe, Intrigen und listige Anschläge brachten zunächst keinen Erfolg, denn der GRAL konnte sich lange Zeit selbst schützen. Aber der Mann, in dessen Besitz er war, hatte große Mühe, sich der massiven Verfolgungen zu erwehren. So suchte er schließlich Schutz bei einer weisen Frau, von der man sagte, sie sei eine der weisen, Schicksalsfäden spinnenden Nornen, vielleicht Urd selbst. Aber auch sie wusste sich nicht anders zu helfen, als ihm eine Fähigkeit zu geben, dank derer er sich in äußerster Not in etwas verwandeln könne, von dem ihm nur eine Jungfrau reines Herzens, die seine Seele erkennen würde, wieder befreien 

Seitdem steht in einer versteckten und verträumten Bucht des Nordmeeres dieser Wurzelstock, gealtert in Jahrtausenden, weise, aber stumm, ein Zeichen für alle, die ein offenes Herz haben...