Dienstag, 3. April 2007

Kapitel 10


Zunächst wollt ihr sicher wissen, was aus Kudrun wurde...
Nun, die alten Bücher berichten übereinstimmend, dass die Normannen mit ihrer geraubten Königstochter und deren Gefolge über das weite Nordmeeer zurück in ihr dunkles Reich fuhren.

Hartmut, der junge Normannenkönig, bedrängte die schöne Kudrun jeden Tag, sie möge seine Frau werden und über sein dunkles, kriegerisches Reich herrschen, aber Kudrun widerstand ihm beharrlich. Nichts konnte sie umstimmen. Nicht der Hinweis, dass ihr Bräutigam, der mit seiner schweren Rüstung im Meer versank, sicherlich nicht mehr am Leben war -- -- (wir aber wissen es besser) -- -- auch nicht die Drohung, sie werde schlechter als die geringste der Mägde am normannischen Hofe gehalten, schon gar nicht die Ankündigung, sie müsse in den Kerker und werde am Ende ihr Leben verlieren. So geschah es, dass die Mutter des jungen Normannenkönigs Hartmut -- ihr Name ist Gerlint -- anordnete, dass Kudrun künftig an den rauhen Gestaden des Nordmeeres die gesamte Wäsche des normannischen Hofes zu waschen habe - und all ihr Gesinde mit ihr. Ausgenommen sollten nur die sein, die sich normannischen Kriegern anverlobten -- als Beispiel für die starrsinnige Prinzessin. Da gab es manche, die durch die harte Arbeit und die Entbehrungen dazu getrieben wurde, ihrer jungen Königin den Dienst zu verweigern und sich stattdessen in die Arme junger normannischer Höflinge zu begeben ... Sie wurden wie Konkubinen gehalten; aber bedenkt, bevor ihr sie verurteilt, wieviel Entbehrungen und Leid sie erdulden mussten: Das Wasser des Nordmeeres ist kalt und nicht jede Frau kann viele Stunden täglich mit geschürzten Kleidern im Wasser stehen und fremder Herren Wäsche spülen....
Kudrun aber und einige wenige ihrer Getreuen hielten standhaft durch - bis eines Tages am Horizont fremde Segel auftauchten und Kurs auf die Bucht nahmen. Sie ankerten in sicherer Entfernung vor den Waffen der Burg, geschützt durch eine bewachsene Landzunge; nur ein Boot mit wenigen Männern ruderte heran. Als sie aus dem Boot sprangen und an Land wateten erkannte Kudrun, wer es war: Herwig, ihr Bräutigam, Horant, der Spielmann -- -- ohne den uns diese alte Geschichte wohl nicht bekannt geworden wäre -- -- und Wate, der Kriegerfürst. Aber die Krieger erkannten Kudrun nicht... Als sie sich zu erkennen gab, konnten es die Männer nicht glauben... Elender sah sie aus als ihre treue Dienerin Hiltburg am Fuße des Holzrecken je ausgesehen hatte; eingefallene Wangen, schmutzige und wirre Haare, knochige Arme und Beine, übersät mit Schrammen und Wunden ... Dies war das Werk der bösen Königin Gerlint, die die Gefangene jeden Abend mit eigener Hand züchtigte, um ihren Stolz zu brechen.
Die Helden hätten nun mit Leichtigkeit die Mädchen entführen können. Aber sie wollten die Normannen für ihre Grausamkeit strafen. Also ließen sie sich von den Jungfrauen alle Gegebenheiten und Örtlichkeiten der normannischen Burg genau erklären. Dann ruderten sie zu ihren Schiffen zurück, um im Dunkel der Nacht den Angriff vorzubereiten. Kudrun war erleichtert, dass ihr Bräutigam noch lebte, und übermütig befahl sie ihren Getreuen, die Wäsche der Normannen in das Meer zu werfen. An diesem Abend kehrten sie stolz und ohne Demut zurück. Sie hatten sich eine List ausgedacht. Kudrun erklärte der überraschten Gerlint, sie wolle nun doch Hartmut zum Manne nehmen. So bereitete sich der normannische Hof auf eine Hochzeit vor, während draußen auf dem Meer die Schwerter geschliffen wurden...

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