Mittwoch, 28. Februar 2007

Kapitel 6

Wie es weiterging, ist in vielen verschiedenen Büchern niedergeschrieben. Aber das, dem die meisten Sänger Glauben schenken, ist ein über 1000 Jahre altes Buch. Viele haben daran geschrieben. Und dort hat unser Recke auch einen Namen. Er heißt Wate. Wate stellte sich nun mit seiner Streitmacht und der Führerin, dem Mädchen Hiltburg, in den Dienst eines Königs, den er unweit der Behausung Urds, am Strand des Nordmeeres traf. Denn dieser war ebenfalls auf der Suche nach Kudrun; sie war seine Braut. Sie hatte ihm sich selbst angelobt, gegen den Willen ihres Vaters.
In dem alten Buche kann man es nachlesen:


"Siu sprach: `nu so gefüege din lieber herre si, ich wil gen im nimmer des willen werden fri, ich gelone im der gedanke, die er hat nach minen minnen, Getörst ich vor dem vater min so wolde ich iu gerne volgen hinnen..."

Und für die, die der alten Sprache nicht mehr mächtig sind, übersetze ich gerne:

" Sie sprach: `Wenn dies, lieber Herr, Euer Wunsch ist, so will ich mich diesem Willen nicht widersetzen. Ich will Euch die Sehnsucht nach meiner Liebe wohl belohnen. Wenn es mir nur der Vater erlauben mag, so will ich Euch gern in Euer Reich folgen..."
Aber der Name des königlichen Bräutigams soll nicht verschwiegen werden: Es war Herwig, Herrscher über das kleine, aber reiche Seeland.

Dienstag, 27. Februar 2007

Kapitel 5

Und so geschah es: Sie machten sich auf den Weg von den hellen zu den dunklen Gestaden des Nordstrandes. Sie sahen in jede Hütte, an der sie vorbei kamen und sprachen mit jedem Menschen, den sie trafen. Nach und nach schlossen sich ihnen junge Männer an, Krieger, denen das Elend der jungfräulichen Königin nicht gleichgültig war. So wurden aus Wenigen Viele. Aus Vielen wurde eine Streitmacht. Aus dieser Streitmacht wuchs allmählich ein Heer. Schließlich, nach langen, langen Märschen, gelangten sie an eine einsame Bucht. Keiner wusste, wo sie waren, nur einer konnte sich erinnern.
Hier stand eine armselige Hütte, wie einstmals, vor vielen, vielen Jahren. Und noch immer saß in ihr die weise Frau, von der man sagte, sie sei eine der Schicksalsfäden spinnenden Nornen, vielleicht Urd selbst. Aber nun trat nicht mehr der Recke zu ihr hinein, sondern das Mädchen Hiltburg, die Erlöserin und Dienerin der jungfräulichen Königin. Und Urd wies ihr den Weg: Boote sollten sie bauen und sich auf ihnen über das Nordmeer tragen lassen auf eine kleine Insel, genannt Hiddens Oie.


Dort war sie gefangen, die jungfräuliche Königin, deren Namen es jetzt an der Zeit ist, zu nennen: Sie hieß Kudrun ...

Kapitel 4



Bis schließlich jemand kam, der kaum noch laufen konnte. Es schien ein Mädchen zu sein. Matt war sie und kraftlos. Ihre Kleider waren zerschlissen und zerfetzt. Sie bedeckten kaum den zarten und kraftlosen Körper der Jungfrau. Die Haare wirr und zerzaust, mit blutenden Füßen, schleppte sich das Mädchen hin zum Holzstock. Es warf sich ihm zu Füßen und umklammerte mit beiden Händen die verwitterten Wurzeln des hoch in die Luft aufragenden Holzbildes.
Eine Erschütterung durchlief den schmächtigen Leib des Mädchens und ein Strom von Tränen stürzte aus den Augen, die tief waren wie das Meer und dunkel wie die Nacht. Sie hatten Schreckliches gesehen: Kriegerische Horden waren eingebrochen in ihr Land, hatten viele Männer erschlagen, die Frauen und Kinder in die Sklaverei getrieben. Auf Schiffen verladen, wurden sie an die dunklen Gestade des Nordmeeres gebracht, dorthin, wo noch immer das Böse regierte. Die dunklen Krieger hatten die jungfräuliche Königin gefangen und entführt ...
Eine ihrer Dienerinnen konnte entkommen. Ahnungen hatten sie lange durch den Wald geführt, über wüste Flächen, tiefe Klippen und dichtes Gestrüpp hin zu den hellen Gestaden des Nordmeeres: nun lag sie da und wusste nicht weiter. Mit den Lippen berührte sie das tränennasse Holz, alle Götter um Hilfe anrufend. Aus ihrer Seele strömte eine Reinheit, ein Licht, das das äußere Elend ihrer Gestalt überwand und den hölzernen Recken in ein Zauberfeuer hüllte. Sie wollte sich opfern - aber er würde nicht verbrennen !
War es der Wind, der plötzlich aufsprang, war es das Meer, das aufrauschte am hellen Ufer oder die Erde, die erbebte ? Blitze zuckten am Himmel und in einem Feuerstrahl stand der Mann da; befreit aus dem harten Holz, lebendig und wiedergeboren als ein Ritter der Güte, zu schützen die Hilfsbedürftigen und zu verfolgen das Böse ! Was aber soll ich sagen über das Mädchen ? Erstarrt und voller Staunen, wenn auch nicht ohne Furcht hatte sie die Verwandlung des Holzes miterlebt. Nun aber zeigten sich ihre innere Reinheit und Opferbereitschaft auch an ihrem Leib: So erbarmungswürdig sie gerade noch war - jetzt stand hier das schönste Mädchen, das je die Erde getragen hatte. Kein Zweifel: Dies war das Werk des GRALS (Aber so ist es bis heute: Letztendlich trägt immer die innere Schönheit einer Frau den Sieg über Äußerlichkeiten davon.).
Nun mussten die beiden ihre Aufgabe erfüllen: einer hatte die Kraft und eine wusste den Weg ...

Kapitel 3

Aber durch all diese Küsse und all die Tränen der schönsten und reinsten - wohl auch mutigsten Jungfrauen, die die Erde je gesehen hatte, veränderte sich der alte Wurzelstock: die aber- und abertausende von Küssen gaben ihm ein Profil. Es war das Profil eines Recken, wie sie vor Zeiten viele diese Nordmark bevölkert hatten, als das Land noch wild und ungestüm war. Die vielen Tränen aber, die ihn direkt benetzten (sie wurden nicht zum Gold des Meeres), führten dazu, dass er stetig wuchs. Er wurde groß und größer, bis er schließlich wie ein Monument die Bucht und den Wald überragte.
Ein Denkmal der Treue und Standhaftigkeit, äußerlich immer noch leblos, denn er war ja aus Holz ...

Montag, 26. Februar 2007

Kapitel 2



Dieser GRAL aber, den der Mann hütete, hatte seine eigene Geschichte. Wie er in seinen Besitz gekommen war, wusste keiner genau zu sagen. Der Schatz war wohl schon im Anfang aller Welten da, vom Allschöpfer selbst benutzt, um die ersten Menschen zu formen. Man wusste von ihm im alten Mesopotamien, auch in Ägypten - immer unter anderem Namen - , auch eine Insel, Atlantis genannt, soll Kunde von ihm gehabt haben. Dann kam er wohl, auf welchen Wegen auch immer, in den Norden... Vielleicht war er auch überall zugleich, denn als in Golgatha Gottes Sohn an das Kreuz geschlagen wurde, soll die erste Christengemeinde das Heilige Blut des Herrn darin aufbewahrt haben. Ein alter Dichter namens Robert de Boron erzählt weiter, dass er danach wieder nach Europa gekommen sei, wo ihn der edelste und reinste Ritter aus der Runde des großen Königs Artus behütete ...
Viele Dichter haben Kunde davon gegeben, und bis in unsere Tage weiß man nur, dass er zuletzt in der Obhut von Parzifals Sohn Lohangerin und dem Sohn seines Halbbruders Feirefiz gewesen sei. Letzterer habe ihn wieder mit in den Orient genommen, von wo aber nie wieder eine Kunde gekommen sei. Er muss aber noch in der Welt weilen, denn immer noch sucht das Böse nach ihm und immer wieder geschehen Wunder ...
Und immer noch wartete der alte Wurzelstock in einer versteckten und verträumten Bucht des Nordmeeres auf seine Erlösung. Viele Jungfrauen haben es schon versucht, aber noch keiner ist es bisher gelungen, den Bann zu lösen. Sie kamen aus allen Teilen der Welt; zu Fuß über das Land, mit Wagen und allerlei Gefährt; durch die Luft mit sagenhaften und modernen Teppichen, Ballons und Fliegern; die meisten aber kamen über das Wasser, um den Mann zu erlösen. Man sagt, dass alle die, denen es nicht gelang, die Erlösungstat zu vollbringen, Tränen vergossen - Tränen der Trauer – die, wenn sie in das Meer fielen, zu goldgelben Steinchen wurden. Diese Steinchen lassen sich heute noch finden, wenn der Sturm das Meer erzürnt hat und die Wogen wild auf den Strand peitschen...

Kapitel1

Weit im Norden der Welt, dort, wo das Meer über das Land regiert und der Sturm über die Sonne, lebte vor vielen Zeiten ein Mann. Die alten Legenden erzählen, dass er etwas besaß, das die Fähigkeit haben sollte, die Menschen glücklich zu machen. Keiner wußte genau zu sagen, was das eigentlich war. Die einen sprachen von einer Schale oder einem Stein, den sie GRAL nannten, andere meinten, es sei ein wundervoller Zauberring mit einem Karfunkelstein darin; die dritten gar behaupteten zu wissen, dass es etwas lebendes sei, von Ymir, dem Urriesen, selbst gezeugt, wieder andere sprachen einfach von einem Schatz ...
Was es auch immer war, Zauberer, Gnome und andere böse Mächte trachteten danach, diesen "Schatz" an sich zu bringen, denn solange er im Besitz des Mannes war, konnte das Böse nicht die Oberhand über die Welt gewinnen.
Heftige kriegerische Angriffe, Intrigen und listige Anschläge brachten zunächst keinen Erfolg, denn der GRAL konnte sich lange Zeit selbst schützen. Aber der Mann, in dessen Besitz er war, hatte große Mühe, sich der massiven Verfolgungen zu erwehren. So suchte er schließlich Schutz bei einer weisen Frau, von der man sagte, sie sei eine der weisen, Schicksalsfäden spinnenden Nornen, vielleicht Urd selbst. Aber auch sie wusste sich nicht anders zu helfen, als ihm eine Fähigkeit zu geben, dank derer er sich in äußerster Not in etwas verwandeln könne, von dem ihm nur eine Jungfrau reines Herzens, die seine Seele erkennen würde, wieder befreien 

Seitdem steht in einer versteckten und verträumten Bucht des Nordmeeres dieser Wurzelstock, gealtert in Jahrtausenden, weise, aber stumm, ein Zeichen für alle, die ein offenes Herz haben...