Sonntag, 29. April 2007

Kapitel13



Der erste, der der verzehrenden Liebesleidenschaft erlag, war kein anderer als der große keltische Zauberer MERLIN, der mächtigste Magier der Länder und Inseln im und rings um das Nordmeer... Lange schon hatte er gelebt, da traf er im Wald Broseliande die schöne junge Niniane - und war ihr von dem Moment an verfallen, als er die Fee erblickte.
Er lehrte sie alle Zauberkünste, die sie von ihm begehrte zu lernen; aber als letztes wünschte sie von ihm das Wort zu erfahren, dass MERLIN unauflöslich für alle Zeiten an sie binden sollte. Und obwohl der Zauberer wusste, was geschehen würde, sagte er ihr dennoch das Zauberwort - so mächtig ist die Kraft der Liebe... Sie lagen unter einer blühenden Weißdornhecke , er trank von ihren Lippen Duft und Saft des lebendigen Waldes - denn sie war eine Waldfee - , und in den Kuß hinein sprach sie das Zauberwort. Da schloss sich die Hecke um ihn wie ein Sarg, Blüten fielen auf ihn nieder und der atmende Waldboden sog ihn ein... Die Sonne wärmte ihn des Tags durch die dünne Decke, das Regenwasser sickerte um ihn herum und die Wurzeln der Bäume und Büsche, auch die der Blumen, wuchsen durch ihn heraus in die grüne Welt des Waldes. Merlins Blut gab dem Zauberwald Leben und sein Atem rauschte in den Wipfeln ein ewiges Lied. MERLIN selbst aber liegt bis heute dort, lebendig-tot und schläft den Rausch der ewigen Liebe. Selbst Niniane kann ihn nicht mehr daraus erwecken...
Das Lied aber tönt fort durch die Zeit: Übergroße Sehnsucht ist darin und ewige Leidenschaft: Es ist das Lied der tragischen Liebe von TRISTAN und ISOLDE

Kapitel 12




Ah, redet nicht so laut durcheinander, sonst verstehe ich ja gar nichts ... So, vom GRAL wollt ihr hören ? Oder erst die alte Sage vom Liebestrank, die auch hier im Norden ihren Anfang nahm ? Wir hätten auch noch sehr viel zu erzählen über die alten Götter, die hier verehrt wurden, bevor die christlichen Missionare die hier lebenden Menschen zu dem dreieinigen Gott bekehrten. Aber im Grunde ist dies die Zeit, in der alle diese alten Legenden ihren Ursprung haben.
So ist das Steinbild vom alten Mönch in der Grundmauer der Kirche zu Bergen gleichsam ein Symbol für die Erfahrungen, die uns die Vergangenheit vermittelt:
die einen sehen in ihm die Abbildung eines der ersten christlichen Mönche auf der Insel Rügen, die anderen das Denkmal der alten slawisch-heidnischen Gottheit Svantevit, die in die Christenkirche eingebaut den neuen Glauben festigen helfen soll.
Wir wissen nur: der Stein ist schon sehr alt und die Menschen haben immer an seine helfende Wunderkraft geglaubt ... wie an die des GRALs . Also macht es Euch bequem und entflieht für ein Weilchen dem Trubel und der Hektik unserer schnell-lebigen Zeit; öffnet Eure Herzen und lauscht dem nächsten Abenteuer, das unser Nordmeer-Recke, der sich Wate nannte, mir erzählt hat: Es ist die Geschichte von einer unglaublich großen, unsterblichen Liebe, die damals wie heute nicht ihresgleichen fand ...
Überall auf der Welt gibt es sie, sie hat sehr, sehr viele Menschen glücklich, wieder andere auch sehr unglücklich gemacht... Die Dichter haben sie besungen und tun es bis auf den heutigen Tag. Sie ist das stärkste, wichtigste und schönste Gefühl, das wir kennen, und doch ein unbegreifliches Mysterium: die LIEBE . - - - Manche glauben sie erfahren zu haben und leben ihr ganzes Leben lang glücklich, weil sie der wahren Liebe nie begegnet sind. - Andere sind ihr begegnet und konnten sie nicht festhalten... Wieder andere kamen zu spät: Da war schon ein anderer schneller und dennoch brannte die Liebesleidenschaft wie ein verzehrendes Feuer und brachte allen Beteiligten großen Kummer und bitteres Leid ...
Wir kennen sie aus Märchen, Mythen und Sagen, die traurigen Frauengestalten, die tragischen Liebespaare...

Dienstag, 3. April 2007

Kapitel 11




Am nächsten Morgen wurde Kudrun von den Mägden Gerlints als Braut geschmückt und angekleidet, als plötzlich von den Zinnen das Signal "Zu den Waffen! " erscholl. Die vereinten Heere der Hegelinger, Seeländer und Mohrländer sowie die Streitmacht Wates, des Recken, hatten unter dem Dunkel der Nacht einen engen Belagerungsring um die Burg geschlossen. Während Scheinscharmützel der großen Heere die Verteidiger ablenkten, suchte eine kleine Schar der mutigsten Recken die versteckten Zugänge der Burg, um unbemerkt in das Innere zu gelangen. --- --- --- Ich und ihr, meine lieben Zuhörer, wir wissen, wie die antiken griechischen Helden die uneinnehmbare Stadt Troja eroberten ... aber diese List war unseren Helden fremd --- --- --- So mussten Herwig, Wate, Siegfried und ihre Getreuen lange suchen, bis sie den von den Jungfrauen beschriebenen heimlichen Gang in einen der Burgkeller fanden. Aber sie fanden ihn schließlich. Und sie konnten die feste Pforte sprengen, die ihn zum Inneren der Burg hin verschloß. Der Kampfeslärm um die äußeren Mauern übertönte die Eindringlinge. Und so waren die Verteidiger überrascht, als plötzlich im Innern des unteren Burghofes eine Gruppe von fremden Kriegern auftauchte, die sich mit wütenden Hieben eine Schneise zum äußeren Burgtor bahnten und dieses schließlich öffnen konnten... Da half den Verteidigern auch nicht mehr, dass sie sich in den oberen, inneren Burghof zurückzogen und ihn mit dem inneren Tor verschlossen. Die wilde Flut der vereinigten Fürstenheere ergoss sich in das Innere der Burg und nach wenigen Augenblicken war auch das innere Tor gesprengt. Da war froh, wer nicht zu den Normannen gehörte ... Die Hegelinger Helden gaben keinen Pardon... So viele gefallene Helden hat kaum je ein Volk in der alten Zeit beklagt. Der Recke Wate raste wie ein Berserker durch die Hallen und suchte den alten normannischen König, den jungen König Hartmut und vor allem die böse Königin Gerlint, um sie für ihr frevelhaftes Tun an der Prinzessin Kudrun und ihren Jungfrauen zu bestrafen. Auch die schwach gewordenen Mädchen aus Kudruns Gefolge hätten - wäre es nach Wate gegangen - einen schmachvollen Tod gefunden. Aber sie flüchteten sich unter Kudruns Schutz...
Wate aber ruhte nicht eher, bis er die Fürstin Gerlint gefunden hatte. Wie sie ausgesehen haben könnte, hat die Malerin Heidrun Hegewald nachempfunden... Und auch Gerlint warf sich Kudrun zu Füßen... Wate aber kannte kein Erbarmen. Er zog sie aus der Schar der verängstigten Damen und setze ihrem bösen Leben ein schnelles Ende. --- --- --- Nicht viel später werden die Dichter von einer anderen Fürstin singen, der es ähnlich erging. Diese aber war eigentlich nicht böse - sie wurde durch die Umstände des Schicksals zu einer Rächerin ihres ermordeten königlichen Gemahls Siegfried ... Ich spreche von Kriemhild und dem Nibelungenlied... Wenn die Zeit es erlaubt und Ihr es hören wollt, werden wir später noch darauf zu sprechen kommen --- --- --- Aber zurück zu Kudrun: Als sie sah, wie es ihrer Peinigerin ergangen war, gebot sie, wie es nur Frauen können, mit heller, aber durchdringender Stimme, dem Kampfeswüten ein Ende. Zu viele waren schon einen unsinnigen Tod gestorben....


Wate war kaum zu bändigen. Aber Herwig gehorchte dem Gebot seiner Braut, so dass auch die anderen Fürsten ihren Kriegern befahlen, die Waffen zu senken. Das Ergebnis der Kämpfe war furchtbar. Die überrumpelten Normannen lagen scharenweise in ihrem Blut. Nie zuvor waren in einem Land in so grausam kurzer Zeit so viele Frauen zu Witwen, so viele Kinder zu Waisen geworden. . .
Kriege sind immer furchtbar, sie waren auch in alter Zeit schon die schlimmste Geisel der Menschen und sind doch immer von den Menschen selbst, von habgierigen Königen, von herrsch- und rachsüchtigen Machthabern, von Ränkeschmieden und Bösewichtern, angezettelt und vom Zaume gebrochen worden.
Aber Kudrun versuchte, die verfeindeten Parteien zu versöhnen:
Sie bot ihrem Entführer, dem jungen Normannenkönig Hartmut, der den Kriegszug mit dem Tode seiner Eltern büßen musste, die Hand ihrer liebsten Freundin und Dienerin Hiltburg an, die dieser, nachdem Hiltburg selbst einverstanden war, auch gerne annahm. Wate stand zunächst mißmutig beiseite; hatte doch Hiltburg ihn selbst erst aus dem Wurzelstock erlöst. Aber seine Aufgabe war es nicht, sich mit einer schönen jungen Frau zu vergnügen un eine Familie zu gründen, sondern - wie von Urd, der Schicksalsfäden spinnenden Norne geweissagt - durch die Zeiten zu wandern und das Unrecht zu verfolgen...
Aber noch war die Versöhnungstat Kudruns nicht vollendet: Ortwin, der Bruder Kudruns, warb um die Hand von Ortrun, einer schönen und stolzen Fürsten-tochter aus Kudruns Gefolge; Siegfried von Mohrland schickte seine Brautwerber zu Herwigs Schwester, die mit Freuden ihre Einwilligung zur Hochzeit mit dem schönen und stolzen Recken gab...
So wurde - da Kudrun natürlich auch so schnell wie möglich ihr Eheversprechen einlösen wollte - vierfach Hochzeit gefeiert in den Nordlanden. Und wieder dröhnte die Erde unter dem Donner der Hufe gepanzerter Pferde. Wieder wirbelte Staub hochauf und dazwischen blitzten Rüstungen und Schwerter im blanken Sonnenlicht. Diesmal aber fochten die einstigen Feinde im friedlichen Wettstreit um die Gunst der schönen Frauen ...
Wate aber ließ es sich nicht nehmen, das Raubnest der Normannen zu zerstören... Heute sieht man noch die letzten Ruinen im Waldesdunkel; oben aber auf dem Berg steht ein Wurzelstock ... das Wahrzeichen unseres Recken...
So gibt es viele Wahrzeichen in unserem schönen Land, die uns die Vergangenheit lebendig werden lassen und uns daran erinnern, woher wir gekommen sind ... Hier mache ich eine kleine Pause um Euch zu fragen, ob Ihr der Erzählung noch nicht müde geworden seid und wenn nicht, wovon ich Euch weiter erzählen soll ?

Kapitel 10


Zunächst wollt ihr sicher wissen, was aus Kudrun wurde...
Nun, die alten Bücher berichten übereinstimmend, dass die Normannen mit ihrer geraubten Königstochter und deren Gefolge über das weite Nordmeeer zurück in ihr dunkles Reich fuhren.

Hartmut, der junge Normannenkönig, bedrängte die schöne Kudrun jeden Tag, sie möge seine Frau werden und über sein dunkles, kriegerisches Reich herrschen, aber Kudrun widerstand ihm beharrlich. Nichts konnte sie umstimmen. Nicht der Hinweis, dass ihr Bräutigam, der mit seiner schweren Rüstung im Meer versank, sicherlich nicht mehr am Leben war -- -- (wir aber wissen es besser) -- -- auch nicht die Drohung, sie werde schlechter als die geringste der Mägde am normannischen Hofe gehalten, schon gar nicht die Ankündigung, sie müsse in den Kerker und werde am Ende ihr Leben verlieren. So geschah es, dass die Mutter des jungen Normannenkönigs Hartmut -- ihr Name ist Gerlint -- anordnete, dass Kudrun künftig an den rauhen Gestaden des Nordmeeres die gesamte Wäsche des normannischen Hofes zu waschen habe - und all ihr Gesinde mit ihr. Ausgenommen sollten nur die sein, die sich normannischen Kriegern anverlobten -- als Beispiel für die starrsinnige Prinzessin. Da gab es manche, die durch die harte Arbeit und die Entbehrungen dazu getrieben wurde, ihrer jungen Königin den Dienst zu verweigern und sich stattdessen in die Arme junger normannischer Höflinge zu begeben ... Sie wurden wie Konkubinen gehalten; aber bedenkt, bevor ihr sie verurteilt, wieviel Entbehrungen und Leid sie erdulden mussten: Das Wasser des Nordmeeres ist kalt und nicht jede Frau kann viele Stunden täglich mit geschürzten Kleidern im Wasser stehen und fremder Herren Wäsche spülen....
Kudrun aber und einige wenige ihrer Getreuen hielten standhaft durch - bis eines Tages am Horizont fremde Segel auftauchten und Kurs auf die Bucht nahmen. Sie ankerten in sicherer Entfernung vor den Waffen der Burg, geschützt durch eine bewachsene Landzunge; nur ein Boot mit wenigen Männern ruderte heran. Als sie aus dem Boot sprangen und an Land wateten erkannte Kudrun, wer es war: Herwig, ihr Bräutigam, Horant, der Spielmann -- -- ohne den uns diese alte Geschichte wohl nicht bekannt geworden wäre -- -- und Wate, der Kriegerfürst. Aber die Krieger erkannten Kudrun nicht... Als sie sich zu erkennen gab, konnten es die Männer nicht glauben... Elender sah sie aus als ihre treue Dienerin Hiltburg am Fuße des Holzrecken je ausgesehen hatte; eingefallene Wangen, schmutzige und wirre Haare, knochige Arme und Beine, übersät mit Schrammen und Wunden ... Dies war das Werk der bösen Königin Gerlint, die die Gefangene jeden Abend mit eigener Hand züchtigte, um ihren Stolz zu brechen.
Die Helden hätten nun mit Leichtigkeit die Mädchen entführen können. Aber sie wollten die Normannen für ihre Grausamkeit strafen. Also ließen sie sich von den Jungfrauen alle Gegebenheiten und Örtlichkeiten der normannischen Burg genau erklären. Dann ruderten sie zu ihren Schiffen zurück, um im Dunkel der Nacht den Angriff vorzubereiten. Kudrun war erleichtert, dass ihr Bräutigam noch lebte, und übermütig befahl sie ihren Getreuen, die Wäsche der Normannen in das Meer zu werfen. An diesem Abend kehrten sie stolz und ohne Demut zurück. Sie hatten sich eine List ausgedacht. Kudrun erklärte der überraschten Gerlint, sie wolle nun doch Hartmut zum Manne nehmen. So bereitete sich der normannische Hof auf eine Hochzeit vor, während draußen auf dem Meer die Schwerter geschliffen wurden...

Kapitel 9


Es gibt noch mehr, was an die alten Geschehnisse erinnert. An den Molen und Stränden ringsumher stehen alte Hölzer, die aus Bäumen stammen, Jahrtausende alt, und die als Strandgut, als Wurzeln, als im Sande und im Uferholz gelegene Stämme irgendwann einmal zutage getreten sind...
Maler, Holzschnitzer, Bildhauer und Dichter legen die Hand auf diese Rudimente des alten Nordwaldes.
Sie spüren, wie die Ereignisse der alten Zeiten gespeichert sind in diesen Hölzern. Sie erfahren, wie die Seele der alten Bäume in den Hölzern weiterlebt. Sie nehmen sie auf und befreien sie aus ihrer starren Hülle, wie einst das Mädchen Hiltburg den Recken Wate erlöste. Die Bildhauer formen Gestalten, die uns erzählen von den Helden der alten Zeit.
Die Dichter erzählen selbst, inspiriert durch die alten Zeugnisse und durch die aus den Hölzern hervorgetretenen Denkmale, diese alten Geschichten neu. Sie sollen uns dazu bewegen, nachzudenken über das Geschehene und unser Leben so zu gestalten, dass Unrecht und Bosheit keinen Raum finden, dass aber das, was das Leben lebenswert macht, immer wieder neu geboren wird: Die Liebe ...
Und so will auch ich, unter den Erzählern der Geringsten einer, meine bescheidene Gabe dazu nutzen, das Nordmärchen fortzuführen. Viel wird noch zu erzählen sein ...