Samstag, 10. März 2007

Kapitel 8


Nun ist es Zeit, aus dem Buch aufzublicken und euch eine Abbildung des Kampfplatzes zu zeigen, wie er sich heute darstellt: Die Hänge sind bewaldet und der Strand ist befriedet - von mächtigen Steinen, die vom Schwert des Recken Wate zurechtgehauen sein könnten - die aber heute die Aufgabe haben, den Strand zu schützen.
Denn seit Jahrtausenden nagt das Meer an dieser Stelle der Insel Hiddensee (wie sie heute heißt). Es nagt vielleicht, um den Fluch abzuwaschen, der auf der alten Kampfstätte liegt, den man in den alten Büchern nachlesen kann und der auch heute noch wirkt ...
Denn um Mitternacht bricht der Sand auf an dieser Stelle ...
die Kämpfer, die vor Jahrtausenden hier ihr Leben ließen, stehen auf aus ihren tiefen Gräbern.


Das Meer brandet wütend gegen die Steine und aus den Wellen marschieren die, die damals im Meer den Tod fanden. Dem mitternächtlichen Wanderer, der sich zufällig hier befindet, wird das Herz zu Stein ...

Denn er vernimmt Waffengeklirr aus der Brandung, die Schreie der Verwundeten, aus dem aufbrausenden Sturm, das Stöhnen der Sterbenden vom Boden, der vom Kampfeslärm vibriert.
Es ist nicht gut für den Wanderer, um Mitternacht an dieser Stelle zu sein, aber am Tage kann man ungefährdet und unbehelligt der alten Sage lauschen ....

Kapitel 7



Nun aber, da ihr alles wisst, was zu wissen nötig ist, wollen wir das Buch selbst sprechen lassen:
... Zum ersten Mal lernte Siegfried, der König aus Mohrland, den Recken Wate aus der Nähe kennen, und er bewunderte die Kraft des alten Recken und seine genaue Kenntnis aller Meeresströme und Winde. Wate wußte mit großer Wahrscheinlichkeit anzugeben, wo sich die feindliche Normannenflotte im Augenblick befin-den mußte.
Er sprach von einer Insel, auf der sonst nur Wölfe hausten. Wülpensand sollte sie heißen. (Das war die Nachricht, die Urd dem Mädchen Hiltburg gegeben hatte, denn Wülpensand lag auf Hiddens Oie.)
"Dann sind sie für uns unerreichbar", sagte Hetel niedergeschlagen. "Wir haben nicht ein Schiff."
"Eine ganze Flotte haben wir!" sagte Wate. Er führte die erstaunten Könige und Fürsten an eine Meeresbucht. Dort lagen siebzig seetüchtige und mit Proviant versehene Schiffe vor Anker. Auf ihren Segeln trugen sie das Kreuzzeichen. Es gab aber ein Gebot des Papstes, des Oberhauptes der Christen, wonach ein jeder, ob König oder Ritter, Irländer, Hegelinger oder Normanne, die Kreuzfahrer unbehelligt ziehen lassen mußte. Wer sie aufhielt oder gar bei einer Rast überfiel, den sollte die Strafe des Himmels treffen. Wate trat denen, die an das Gebot erinnerten, entgegen: "Auch Gott verschmäht nicht die Gewalt, wenn es nötig ist. Deshalb laßt uns nicht zögern. Für diese Tat übernehme ich allein die Verantwortung."
Dann befahl er seinen Kriegern, die Schiffe zu besetzen ...
Zu spät erkannten die Entführer Kudruns,
(und auch ihnen ist es jetzt Zeit einen Namen zu geben: Es war ein Heer der Normannen unter Führung ihres jungen Königs Hartmut)
wer ihnen hier mit einer großen Streitmacht auf den Fersen war. Hetel gewann Zeit, sein Heer geordnet und kampfbereit zu landen. Hartmut, der junge Normannenkönig, hatte viel Mühe, der Überraschung im eigenen Lager Herr zu werden. Er versprach seinen Kriegern Gold und Edelsteine aus dem eigenen Besitz und spornte sie dadurch zu einem Eifer an, der die Überrumplung zum Teil wieder wettmachte.
Ein Kampf entbrannte, der in der damaligen Welt kein Beispiel kannte. Speere fielen dicht wie Schneegestöber in die Reihen der Gegner. Tausend und aber tausend Schilde brachen unter mächtigen Schwerthieben. Die stärksten Lanzen aus Eschenholz splitterten beim Zusammenprall, als wären sie aus brüchigem Eis gefertigt. Das Kampfgetöse erschreckte selbst die Wölfe. Sie sprangen ins Meer und suchten schwimmend eine ruhigere Insel zu erreichen. Gleich einem gut gesteuerten Boot in der Brandung lenkte Herwig sein Pferd durch die hin und her wogenden Reihen. Er suchte seine Braut Kudrun. Fand Hartmut im Kampf mit Horant. Begegnete Siegfried von Mohrland im harten Gefecht mit einem normannischen Fürsten. Traf Hetel, der auf den alten normannischen König Ludwig, Hartmuts Vater, einhieb und ihm tiefe Wunden beibrachte. Glaubte überall Wate zu sehen. Der alte Recke war außer sich vor Zorn, er schlug wahllos um sich und streckte die Gegner in Scharen zu Boden. Herwig ließ sich aber durch niemand aufhalten, er suchte seinem Ziel näher zu kommen. Die Normannen hatten Kudrun vorsorglich auf eins ihrer Schiffe gebracht. Als Herwig sie entdeckte, zogen sie die Planke weg. Der seeländische König stürzte zwischen Schiffswand und Strand ins Wasser. Die schwere Rüstung zog ihn in die Tiefe. Nur mit allerletzter Anstrengung gelang es ihm, sie abzustreifen und schwimmend an Land zu kommen. Hier erwartete ihn ein Hagel von Pfeilen, vor dem er sich unter einen Baum flüchtete. So rettete er zwar sein Leben, aber Kudrun rettete er nicht.
Das Ringen um die Prinzessin währte bis in die Dämmerung. Wate kämpfte, als hätte er statt des Schwertes eine Sense in den Händen und als seien die Krieger Grashalme auf der Wiese. Der Alte mähte sie nieder, seine Kraft reichte bis zum Dunkelwerden, sein Zorn wuchs mit jedem Schlag; schließlich mähte er in den eigenen Reihen. Da erscholl Horants, des Sängers, Stimme. Er gebot allen Hegelinger, Seeländer und Mohrländer Fürsten, Rittern und Kriegern Waffenruhe bis zum Anbruch des neuen Tages. Das wäre eigentlich Hetels Aufgabe gewesen. Aber Hetel war tot.
Kudruns Vater Hetel, niedergestreckt im Wülpensande von Hiddens Oie und Kudrun, die Tochter, noch immer in der Gewalt der Entführer ...
Zwar hatten die vereinigten Heere der Hegelinger, von Mohrland und von Seeland die Normannen in die Flucht geschlagen, aber ihr Ziel, Kudrun zu befreien, hatten sie nicht erreicht. Herwig, der Bräutigam, der nur mit Mühe dem Tod entronnen war, lag schwer verletzt in seinem Zelt. Wate stapfte wütend durch den tiefen Sand und spaltete mit seinen Schwert die herumliegenden Steine. Horant, der Sängerfürst, verabschiedete den Tag mit einem Lied, das von Verfolgung, Vergeltung und Befreiung der jungfräulichen Königin sang.